Monday, May 01, 2006

11 Uhr, Ho-Platz

Nein, das ist kein Tippfehler in der Überschrift. Ich wollte nicht schreiben "18 Uhr O-Platz", wie man es von einem Berliner am 1. Mai eigentlich erwarten könnte. Mein Exil bringt es mit sich, dass mir das traditionelle 1. Mai-Ritual in Berlin erspart bleibt und ich stattdessen andere Formen politischen Handelns miterleben kann. So ganz will ich schließlich nicht von der Politik am 1. Mai lassen und insofern kam es mir gerade recht, dass der Mayday -- hier übrigens kein Feiertag -- im Zeichen der Proteste gegen die Einwanderungspolitik der gegenwärtigen Regierung stand. Die neuen Gesetze sehen unter anderem vor, illegalen Aufenthalt in den USA und jedwede Unterstüzung Illegalisierter zu einer Straftat zu machen und die Grenze zu Mexiko und Kanada massiv aufzurüsten. Nachdem es bereits in den vergangenen Monaten große Proteste gegen diese Maßnahmen gegeben hatte, sollte der 1. Mai eine weitere Möglichkeit sein, seinem Unmut über die Pläne Ausdruck zu geben. Es gab Aufrufe, für einen umfassenden Boykott, für "einen Tag ohne Einwanderer": "No work, no school, no selling, no buying". Stattdessen sollten möglichst viele weiße T-Shirts als Zeichen des Protestes tragen und in möglichst vielen Städten den Protest auf die Straße tragen.

Auch hier in Ithaca fand der Aufruf Gehör, und in diesem Sinne fand ich mich um 11 Uhr auf der Ho-Plaza auf dem Campus ein. Nach einigen Redebeiträgen machten sich die etwa 80 Studierenden (hauptsächlich Undergrads) auf den Weg nach Downtown. Dort sollten sich alle Protestierenden, etwa aus dem Ithaca College oder den diversen High Schools, für eine zentrale Kundgebung sammeln. Insgesamt hatten 66 Organisationen in der Stadt den Aufruf unterstützt und es kamen etwa 400 Demonstrantinnen und Demonstranten zusammen. Für einen deutschen Linken waren die vielen Nationalflaggen (auch amerikanische) zuerst etwas ungewohnt. Aber die Tatsache, dass sich eine große Menge von Menschen unterschiedlichster nationaler wie sozialer Herkunft für eine gemeinsame Sache stark machten, war doch eine angenehme Abwechslung zu den Berliner Maifestspielen. Es gab Redebeiträge unter anderem von der Bürgermeisterin von Ithaca, von GewerkschafterInnen, von der lokalen Latino-Vereinigung und von einer Vertreterin der Black Community. Inhaltlich lag der Fokus klar auf drei Themen: den Beitrag, den ImmigrantInnen für den Aufbau und Wohlstand der USA geleistet haben und immer noch leisten; die Tatsache, dass "wir" alle ImmigrantInnen sind; und die Forderung, dass kein Mensch illegal sein darf.

Die Cops waren übrigens höchst zurückhaltend und unternahmen auch nichts gegen unseren Marsch auf einer der Hauptverkehrsstraßen vom Campus nach Downtown. Auch dies eine willkommene Abwechslung zu Berlin. Was nicht anders war als in Berlin, war der jugendliche Trotzki-Fanclub, der einem ihre überall gleich aussehenden Zeitungen über die Weltrevolution und alles was dazugehört verkaufen wollten.

Also: Si se puede! Yes we can.