Wednesday, September 14, 2005

Seiten fressen, Noten drücken

Nach dem Ende der dritten Semesterwoche (Donnerstag und Freitag habe ich "frei") ist es an der Zeit, eine erste Einschätzung des Seminarbetriebs hier zu geben. Dazu erst einmal die deskriptive Seite:
  • ich mache drei Kurse, was dem Üblichen hier entspricht
  • jeder Kurs trifft sich einmal pro Woche für 120 Minuten
  • das Lesepensum pro Kurs liegt irgendwo zwischen 150 und 350 Seiten pro Woche
  • die Größe der Kurse ist sehr unterschiedlich, bei mir schwankt sie zwischen 5 und 20; Kurse, die in mehreren Departments gelistet sind (kommt oft vor), sind meistens deutlich voller
  • in allen Kursen muss man am Ende der Vorlesungszeit (Dezember) ein mehr oder weniger langes Paper im Umfang von ca. 15--25 Seiten abgeben
  • die Bewertung dieses Papers macht einen Großteil der Note aus, der Rest setzt sich aus Anwesenheit und Mitarbeit und manchmal wöchentlichen Assignments zusammen
  • diese wöchentlichen Assignments sollen auf die Kernthesen der Lektüre eingehen, Fragen formulieren und damit die Diskussion in der Sitzung selbst anregen und strukturieren
Wie drücken sich diese Strukturen nun in meinem subjektiven Erleben der Lehre aus? Im Großen und Ganzen habe auf jeden Fall auf jeden Fall einen sehr guten Eindruck. Während ich das hohe Lesepensum zu Beginn etwas kritisch gesehen habe ("wie soll man das denn alles in zwei Stunden diskutieren?"), finde ich es inzwischen recht angenehm -- viel bringt in diesem Fall viel. Auch der Zwang, jede Woche etwas zum Gelesenen schreiben zu müssen, macht sich bei mir sehr positiv bemerkbar (siehe dazu auch das Luhmann-Zitat in meinem ersten Eintrag hier). Die Auseinandersetzung mit Texten im Detail muss dann an anderer Stelle erfolgen, am ehesten wohl in der Hausarbeit.

Die Größe der Kurse hat meines Erachtens keinen großen Einfluss auf ihre Qualität, hier kann man also nicht behaupten "klein bringt viel". Im Gegenteil scheinen sich zu kleine Kurs eher immer wieder einmal etwas totzulaufen. Dies führt mich auch zu einem anderen Problem: die Länge der Sitzungen. Zwei Stunden sind mir (und auch einigen anderen) definitiv zu lang. Neben dem Problem des Totlaufens führt dies immer wieder zum Abschweifen in Nicht-Fachliches und zum Abschweifen innerhalb des Fachlichen. Gute Dozentinnen und Dozenten können dies natürlich weitgehend vermeiden, aber es klappt nicht immer.

Das Engagement der Studierenden ist auf jeden Fall größer als in Deutschland, zumindest was die Vorbereitung der Sitzung und die mündliche Mitarbeit angeht. Ob das nun ein Effekt des Notendrucks, der intrinsischen Motivation oder des Bewusstseins der bezahlten Studiengebühren ist, kann ich nicht beurteilen -- wahrscheinlich ist es eine Interaktion (Entschuldingung, der war für Insider). In den Sitzungen selbst hat man manchmal den Eindruck, dass sich viele zwingen, wenigstens einmal pro Sitzung etwas zu sagen, was auf mich recht befremdlich wirkt. Aber auch hier kann ich mich natürlich täuschen.

Insgesamt also eine sehr positive Einschätzung meinerseits, auch wenn man das eine oder andere immer noch ein bisschen besser machen könnte.